Die Anfänge der Ergotherapie SRK

Ansätze für Beschäftigungstherapien gab es bereits im 19. und 20. Jahrhundert. Aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Einsatzbereiche und Methoden strukturiert erfasst und das Berufsbild der Ergotherapeutin genauer beschrieben und weiterentwickelt. Das Schweizerische Rote Kreuz erkannte in der Verbreitung und Förderung der Ergotherapie früh eine Rotkreuzaufgabe. Sein Hauptverdienst ist die Entwicklung der ambulanten Ergotherapie.

Bereits 1959 wurde Ergotherapie im SRK auch in der internationalen Hilfe eingesetzt, als in Marokko nach einer Vergiftung durch verunreinigtes Olivenöl sogenannte Ölgelähmte zu behandeln waren [Hier finden Sie Artikel und Interview von Frau Brun zu Marokko]. Diese erste internationale Bewährungsprobe bestanden die eingesetzten Ergotherapeutinnen und mit ihnen die Ergotherapie als Ganzes mit Bravour.

Die Beschäftigungstherapie, wie die Ergotherapie zuerst genannt wurde, ist eine Ergänzung zur medizinischen Behandlung mit einer sozialen Seite.

„Sie [die Ergotherapie] will und kann einen Beitrag leisten zur physischen, psychischen und wenn möglich auch ökonomischen Selbständigkeit der Patienten, mit anderen Worten zu ihrer medizinischen, sozialen und beruflichen Rehabilitation.“ SRK-Zeitschrift #3/1968, S. 20.

Vorreiterin Sektion Zürich des SRK

Als 1952 in der Sektion Zürich ein Besuchsdienst für Kranke und Betagte aufgebaut wurde, erkannten die freiwilligen Rotkreuzhelferinnen rasch, „dass vielen Patienten dringend etwas fehlte: eine sinnvolle, ablenkende Betätigung, um die vielen ungenutzten Stunden des Alleinseins und der Untätigkeit zu überbrücken.“ SRK-Zeitschrift #3/1968, S. 41
Aus der Einsicht, dass die Folgen von physischen und psychischen Erkrankungen durch gezielte Beschäftigung, wenn nicht beseitigt, so doch gemildert oder verzögert werden können, entstand 1952 in der Sektion Zürich die erste ambulante Beschäftigungstherapie.

Das Interesse an der neuen Dienstleistung war so gross, dass zur Entlastung der wenigen Therapeutinnen freiwillige Rotkreuzhelferinnen und –helfer angelernt und ein Therapieraum eingerichtet wurde. In diesem ersten Ergotherapiezentrum der Schweiz fand 1957 auch die erste Gruppentherapie statt, deren Hauptvorteil darin liegt, dass sich die Patientinnen und Patienten gegenseitig motivieren können:

„Welch ein Ansporn für die anderen, wenn eine Einhänderin einen selbstgebackenen Ku-chen stiftet oder erzählt, wie sie ihrem Mann die Hemden plättet. Wichtig ist bei diesen Menschen, dass ihre Arbeit, dass insbesondere die selbstangefertigten Gegenstände der Kritik der Umwelt standhalten, sonst ist das oft nur mühsam erworbene Selbstvertrauen bald wieder zunichte.“ (SRK-Zeitschrift #4/1964, S. 11)

1959 wurden zwei Ergotherapeutinnen beschäftigt und 13 Rotkreuzhelferinnen halfen bei Be-schäftigungstherapien in Spitälern und Altersheimen. Dazu kamen sogenannte Nähhilfen, welche Webstühle einrichteten, Handarbeiten vorbereiteten und fertigmachten etc. 1974 wurde die Ergotherapie ins neu gegründete erste Tagesheim für Behinderte und Betagte integriert.

Eine sinnvolle Beschäftigung geben: zum Beispiel Fritz Guggisberg

Das Abzeichen für die Maisammlung 1954 war die Folge einer ergotherapeutischen Intervention. In einem Umschulungskurs wurden zunächst 16 Schwerbehinderte durch Ergotherapeutinnen geschult und ihrer Behinderung angepasstes Spezialwerkzeug hergestellt. So erhielt zum Beispiel der 26-jährige Fritz Guggisberg eine Vorrichtung zum Bemalen der Abzeichen mit kleinen roten Kreuzen, die er mit seinen gelähmten Händen problemlos bedienen konnte. Er alleine stellte in den folgenden drei Monaten 180‘000 Abzeichen her:

„In den letzten drei Monaten war ich glücklich. Ich war zu etwas nütze. Ich durfte arbeiten, eine Arbeit verrichten, die meinen Kräften entsprach, ja, ich hatte sogar keine Zeit mehr zum Zeitunglesen… aber auch nicht zum Grübeln. Wann, glauben Sie, wird es für mich wieder solche Arbeit geben?“ SRK-Zeitschrift #4/1954, S. 13.

Insgesamt waren an dieser Aktion 30 Schwerbehinderte beteiligt.

Eine vielfältige Tätigkeit, die Weiterentwicklung des Berufs in den Schulen

Der Beruf des Ergotherapeuten entstand zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den USA. Einen starken Entwicklungsschub erfuhr er nach dem Zweiten Weltkrieg, als zur Behandlung der vielen an Körper und Psyche verwundeten Soldaten und Zivilisten erstmals beschäftigungs- und arbeitstherapeutische Verfahren in grösserem Stil angewendet wurden. Amerikanische und britische Ergotherapeutinnen brachten die Ergotherapie dann auch in die Schweiz. Hier wurde das ergotherapeutische Wissen ab 1951 zunächst in relativ kurzen Kursen von lediglich einigen Wochen an der Schule für soziale Arbeit Zürich vermittelt. Es war eine reine Zusatzausbildung für medizinisch vorgeschultes Personal, etwa Kranken- und Psychiatrieschwestern. Ab 1955 gab es auch am Bürgerspital Basel einen solchen Kurs. Von 1957 an wurden die Schülerinnen und Schüler in der neugegründeten Schule für Beschäftigungstherapie Zürich auf ihre vielseitige und verantwortungsvolle Tätigkeit vorbereitet. 1965 wurde eine zweite Ausbildungsstätte in Lausanne und 1973 eine dritte in Biel eröffnet.

„Medizinisches Interesse, Aufgeschlossenheit für soziale und psychologische Fragen werden von jeder Schülerin, von jedem Schüler verlangt; denn sie sollen ja als Mitarbeiter des Arztes tätig sein und diesen in der ärztlichen Behandlung seiner Patienten unterstützen. Sie müssen auf die seelischen Nöte ihrer Pfleglinge eingehen und ihnen helfen können, diese zu überwinden. Kunsthandwerkliche Begabung und Erfindungsreichtum spielen in zweiter Linie eine Rolle, doch auch hier erweist sich Vielseitigkeit von Vorteil.“ SRK-Zeitschrift #4/1964, S. 9

Die Ausbildung zur Ergotherapeutin konnte in der Folge kontinuierlich ausgebaut und verbessert werden. Die Ergotherapiezentren des SRK und die dort angestellten Ergotherapeutinnen waren an dieser positiven Entwicklung massgeblich beteiligt. Mitte der Sechzigerjahre dauerte die Ausbildung bereits drei Jahre. Darin enthalten waren drei Praktika von insgesamt 14 Monaten in ablenkender, funktioneller und psychiatrischer Ergotherapie. Der Stoffplan umfasste unter anderem Anatomie, Psychologie, die Handhabung sozialer Fragen und verschiedene kunstgewerbliche Fächer.

Die Ergotherapie in den Sektionen

Auch innerhalb des SRK entwickelte sich die Ergotherapie weiter. Nach Zürich (1952) folgten die Sektionen Basel-Stadt (1960), St. Gallen, Horgen/Affoltern, Zürcher Oberland (1961), Glarus, Lausanne (1963), Genf (1965), Lugano (1966), Bern-Mittelland (1967), Bern-Emmental (1971), Baselland, Bern-Oberland in Thun, Zug (1972), Neuenburg, Bern-Oberland in Spiez (1973), Thurgau und Schaffhausen (1974), Winterthur (1976), Aarau (1977), Baden (1979), Unterwalden, Olten (1980) usw.

Die Behandlungen erfolgten einerseits in den Ergotherapiezentren, andererseits führten die Ergotherapeutinnen und freiwilligen Rotkreuzhelferinnen des SRK auch Behandlungen in Spitälern, Heimen für Chronischkranke und Betagte, orthopädischen Kliniken, Sanatorien, Rehabilitationszentrenzentren etc. durch.

Bei den ebenfalls durchgeführten Hausbesuchen konnten die Ergotherapeutinnen die soziale Not ihrer Patientinnen und Patienten oft noch besser erkennen. Und vor allem sahen sie dort die ganz konkreten Hindernisse in deren Alltag und konnten durch oft nur kleine Anpassungen in den Wohnungen und den Einsatz von Hilfsmitteln helfen, diese abzubauen.

Die Arbeit in der Ergotherapie ermöglichte dem SRK einen direkten Kontakt zu äusserst verletzlichen, immobilen und sozial isolierten Bevölkerungsgruppen. In vielen Gebieten waren die Ergotherapeutinnen erste Kontaktpersonen für diese Menschen und ihre Angehörigen und dadurch wichtige Rotkreuz-Botschafterinnen. Mit ihrer Arbeit halfen sie entscheidend mit den Rotkreuzgedanken einer breiten Bevölkerung näher zu bringen.

2018 behandelten 202 SRK-Mitarbeitende in 33 Therapiestellen (20 Zentren und 13 Zweigstellen) in 12 Rotkreuz-Kantonalverbänden insgesamt 10‘418 Klienten. Die Ergotherapie ist heute ein wichtiger Pfeiler der Rotkreuzarbeit in der Schweiz.

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