Die Schweiz, das Vaterland Henry Dunants, ist Gastland des IKRK und Depositarstaat der Genfer Abkommen. Dennoch hat sie erst im Juli 1866, drei Jahre nach der Gründung des IKRK, als 18. Land eine nationale Rotkreuzgesellschaft gegründet. Weshalb hat sie sich dafür so viel Zeit gelassen?
Alle nationalen Rotkreuzgesellschaften halten sich an die gleichen Grundsätze. Doch entsprechend den politischen, geografischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten der einzelnen Länder sind sie unterschiedlich ausgestaltet. Die einzigartige Entwicklung des Roten Kreuzes in der Schweiz lässt sich nur mit Blick auf die Geschichte des Landes verstehen. Die relativ späte Gründung des SRK ist somit auf verschiedene Umstände zurückzuführen, die mit der schweizerischen Realität zusammenhängen: Langsamkeit des bundesstaatlichen Systems, unterschiedliche Vorgehensweisen der Kantone, hemmende Wirkung der Neutralität, Konkurrenz zwischen zahlreichen gemeinnützigen Organisationen, die in der Schweiz bereits tätig waren, sowie Verwechslung mit dem IKRK in Genf.
Die Gründung einer nationalen Rotkreuzgesellschaft in der Schweiz war nicht so naheliegend und selbstverständlich, wie dies auf den ersten Blick erscheint. Die Entstehung und Entwicklung des SRK erforderte den Pragmatismus und die Weitsicht verschiedener Persönlichkeiten: die Initiative von Gustave Moynier, das Charisma von General Dufour, die Autorität von Jakob Dubs und später die Begeisterung von Walter Kempin… Kurz nach seiner Gründung im Jahr 1866 verfiel das SRK für längere Zeit in Lethargie, da es keine konkreten Aufgaben zu erfüllen hatte. Während des Deutsch-Französischen Kriegs von 1870 bis 1871 wurde dann aber die geschlagene Bourbaki-Armee in der Schweiz interniert. Damit erhielt das SRK Gelegenheit, erstmals in seiner Geschichte seinen Nutzen unter Beweis zu stellen.