Von der Arbeitsgemeinschaft zur Kinderhilfe SRK

Kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs strömten Hunderttausende von spanischen Republikanern auf der Flucht vor dem Franco-Regime über die Grenze nach Südwestfrankreich. In Gurs, Rivesaltes, Récébédou, Agde und Argelès wurden Männer, Frauen, Kinder und alte Menschen zusammen in improvisierte Internierungslager gepfercht, in denen prekäre gesundheitliche Zustände herrschten. Nachdem die deutsche Wehrmacht nach Nordeuropa vorgedrungen und im Mai 1940 in Frankreich einmarschiert war, wurde der Süden Frankreichs zur «freien Zone» erklärt, in der mehrere Millionen Menschen Zuflucht suchten. Vor Ort versuchten Pioniere der humanitären Hilfe, den besonders verletzlichen Internierten beizustehen. Die meisten dieser Helfer gehörten dem Service civil International an und hatten sich bereits in Spanien im Rahmen der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für Spanienkinder («Ayuda Suiza») engagiert. Freiwillige aus der Schweiz begannen sich so in Frankreich für besonders benachteiligte Menschen einzusetzen, bevor das SRK 1942 dort aktiv wurde.

Helfer aus der Schweiz betreuen «unerwünschte» Personen

In dieser Notlage schlossen sich 21 Schweizer Hilfsorganisationen im Jahr 1940 zur Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für kriegsgeschädigte Kinder zusammen. Sie vereinten ihre Anstrengungen, um den Kindern zu helfen, da diese am meisten unter Mangelerscheinungen und Krankheiten litten. Inmitten des Chaos engagierten sich die humanitären Helfer aus der Schweiz, um das Leid der «unerwünschten Ausländer» (spanische Flüchtlinge, Roma, Juden usw.) in den Lagern zu lindern. In aller Eile wurden Baracken errichtet, die als behelfsmässige Krankenstationen, Küchen oder Schulen dienten. Engagierte jungen Schweizerinnen leiteten die Einrichtungen, betreuten dort Kinder und pflegten Kranke in Isolationszimmern. Schon nach kurzer Zeit erkannte man, dass die besonders gefährdeten Insassen nicht dem Elend in den Lagern ausgesetzt bleiben durften. Für Kinder mit angegriffener Gesundheit und schwangere Frauen, die kurz vor der Entbindung standen, wurden deshalb in Elne und in Banyuls-sur-Mer im Departement Pyrénées-Orientales eine Geburtsklinik und ein Säuglingsheim eröffnet. 

Die Arbeitsgemeinschaft baute ihre Hilfstätigkeit kontinuierlich aus. Sie arbeitete auch mit anderen internationalen Hilfswerken wie dem American Friends Service Committee zusammen, das von Quäkern betrieben wurde. Von der Schweiz aus wurden die gespendeten Lebensmittel und Kleider per Bahn an den Sitz der Arbeitsgemeinschaft nach Toulouse transportiert. Dort wurden sie gelagert und danach in den Bahnhöfen, Schulkantinen und Geburtskliniken der umliegenden Städte verteilt. So konnte der magere Speisezettel Tausender von Kindern ergänzt werden: Zweimal wöchentlich erhielten sie in der Schule ein «Schweizer Znüni». Die Zusammensetzung dieser Zwischenmahlzeiten hing davon ab, welche Lebensmittel in der Schweiz verfügbar waren. Zum Brot, das neben Milch, Käse oder Trockenfrüchten abgegeben wurde, gab es manchmal auch etwas Konfitüre.  

Ernährung der Kinder im Vordergrund

Um den Gesundheitszustand der Kinder wirksamer verbessern zu können, beschloss die Arbeitsgemeinschaft, für schwache und kränkliche Kinder Erholungsaufenthalte in der Schweiz zu organisieren. Ab November 1940 fuhren sogenannte Kinderzüge in die Schweiz. Die Kinder wurden während dreier Monate bei Gastfamilien untergebracht, wo sie sich fernab des Krieges erholen konnten. Zunächst waren diese Aufenthalte Kindern aus Departementen der freien Zone vorbehalten, ab Februar 1941 wurden dann auch Kinder aus dem besetzten Teil Frankreichs berücksichtigt. 

Die Schweiz konnte jedoch nicht alle geschwächten Kinder aus Frankreich aufnehmen. Daher wurden auch Ferienkolonien und Kinderheime auf französischem Boden eingerichtet: in La Hille (Ariège), in Le Chambon-sur-Lignon (Haute-Loire) sowie in Talloires, Pringy, Faverges und St-Cergues (Haute-Savoie). So konnten weitere Kinder für eine gewisse Zeit den trostlosen Zuständen in den Lagern entrinnen. Diese Schweizer Kolonien entwickelten sich zu kleinen Gesundheits- und Bildungszentren: Nachdem die Kinder wieder zu Kräften gekommen waren, beschäftigten sie sich dort mit Handarbeiten, Singen und Spielen. Etwa 10 bis 20 Prozent der Kinder in diesen Kolonien waren jüdische Kinder. Gemäss der Verfügung des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartementes war es jüdischen Kindern verwehrt, in die Schweiz zu kommen. Die Beherbergung in den Kolonien der Arbeitsgemeinschaft war deshalb der einzige Weg, sie vor der Einweisung in Internierungslager zu bewahren.

Übernahme durch die SRK-Kinderhilfe 

Die Arbeitsgemeinschaft wurde 1942 durch eine Anordnung des Bundesrates mit dem SRK zusammengelegt und wurde zur Kinderhilfe des Schweizerischen Roten Kreuzes (SRK-Kinderhilfe). Damit standen ihr mehr finanzielle Mittel zur Verfügung, die sie für die Fortsetzung ihrer Tätigkeit in Frankreich dringend benötigte. Diese angeordnete Fusion ermöglichte es der Eidgenossenschaft auch, durch die enge Verbindung mit der Leitung des SRK ihre politischen Interessen um die humanitäre Dimension zu erweitern. Das SRK, das vom Bundesrat anerkannt und unterstützt wurde, brachte frischen Wind in die Arbeit. In allen Einsatzbereichen wurde eine enorme Entwicklung verzeichnet. Von 29 Helferinnen und Helfern aus der Schweiz, die 1941 in Frankreich im Einsatz waren, erhöhte sich der Bestand im darauffolgenden Jahr auf 150. In Cruseilles, Faverges, Megève, Montluel, Annemasse und an weiteren Orten wurden neue Ferienkolonien und Säuglingsheime eröffnet. Die Lebensmittellieferungen stiegen von 145 Tonnen im Jahr 1941 auf 385 Tonnen im Jahr 1943. Mit 732 Tonnen erreichten sie 1945 ihren Höchststand.

Schliesslich wurde die Tätigkeit auch auf Nordfrankreich ausgedehnt: In den Jahren 1944 und 1945 wurden in den Pariser Schulen und in weiteren Grossstädten Nordfrankreichs knapp 700'000 Schweizer Znünis verteilt. Zugleich wurden «Schweizer Baracken» für verlassene, kranke und verwaiste Kleinkinder aus der Umgebung der Städte Beauvais, Sedan und Arras eröffnet. 

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