Das Lazarett von Dr. Carrel: Schweizer Schwestern an der Front

Der französische Chirurg und Biologe Alexis Carrel (1873–1944) genoss bereits vor dem Ersten Weltkrieg hohes Ansehen. Seine bahnbrechenden Forschungsarbeiten im Bereich Gefässchirurgie, Organtransplantation und Gewebekultur hatten ihm die Anerkennung der Wissenschaft sowie 1912 den Nobelpreis für Physiologie und Medizin eingetragen. 

Einsatz von Schweizer Krankenschwestern

Bei Kriegsausbruch wurde Alexis Carrel zunächst dem Hôtel-Dieu in Lyon zugeteilt. Nach seiner Beförderung baute er ab März 1915 ein Versuchsspital in Compiègne auf. Dort war ein grosser Bereich der Forschung und Versuchen zur Behandlung von Kriegsverletzungen vorbehalten. Um Wundinfektionen zu verhindern, die zu unzähligen Blutvergiftungen führten, mussten die verwundeten Soldaten möglichst rasch behandelt werden. Deshalb konnte Carrel durchsetzen, dass sein Feldspital in der Nähe der Front eingerichtet wurde – mit allen damit verbundenen Risiken. Das Lazarett wurde im Hotel du Rond-Royal 15 Kilometer hinter der Front untergebracht. Das von der Rockefeller-Stiftung finanzierte temporäre Spital war sehr modern ausgestattet. Es verfügte über ein Labor, in dem eine Gruppe von sechs Forschern arbeitete. Darunter befand sich auch der englische Chemiker Henry Dakin, der die Dakin-Lösung entwickelte, eine antiseptische Lösung zum Spülen von Wunden. 

Da Carrel gut qualifizierte Krankenschwestern benötigte, wandte er sich an die Krankenpflegeschule La Source in Lausanne. Diese war ihm von einem Freund, dem Berner Chirurgen Theodor Kocher, empfohlen worden, der selbst seit 1908 sogenannte «Sourciennes» beschäftigte. Der Leiter der Schule, Charles Krafft, erklärte sich sogleich einverstanden. So trafen am 18. März 1915 die ersten Lausanner Krankenschwestern in Compiègne ein. Die insgesamt 35 Pflegerinnen, die eine Rotkreuz-Armbinde trugen, leisteten bis zum Ende der Kampfhandlungen einen wertvollen Beitrag zur Versorgung der verwundeten französischen Soldaten. Sie unterstützten Dr. Carrel bei seiner Arbeit und wurden in die Entwicklung einer innovativen Behandlung für Kriegsverletzungen einbezogen. Diese Behandlung stützte sich auf die Verwendung von Natriumhypochlorit als Antiseptikum, auf der Dauerspülung der Wunden und auf dem Einsatz von mobilen Chirurgiestationen, sogenannten «Auto-chir», dank denen Verwundete an der Front operiert werden konnten.

Die Verbindung zwischen Schule La Source und SRK

Auf rechtlicher Ebene bestand seit 1903 eine Zusammenarbeit zwischen La Source und dem SRK: Gemäss dem Bundesbeschluss vom 25. Juni 1903 betreffend die freiwillige Sanitätshülfe zu Kriegszwecken verpflichteten sich die Krankenpflegeschulen, die vom Bund Beiträge erhielten, zwei Drittel ihrer Absolventinnen für den Armeesanitätsdienst zur Verfügung zu stellen. Zu diesen Schulen gehörte auch La Source. Das SRK hatte die Aufgabe, die Mobilisierung der Personen für die freiwillige Sanitätshilfe zu organisieren, welche die Sanitätstruppen der Armee verstärken sollten. 

Da die Schweiz vom Ersten Weltkrieg verschont blieb, kamen die 24 Detachemente mit je 40 Krankenschwestern nicht zum Einsatz, die im August 1914 gebildet worden waren. Am Ende jenes Jahres erlaubte Rotkreuz-Chefarzt Carl Bohny den Schweizer Krankenschwestern unter gewissen Voraussetzungen, in Spitälern der Krieg führenden Staaten zu arbeiten. Eine Bedingung war, dass sie im Notfall unverzüglich in die Schweiz zurückkehrten. Somit erhielten die Schweizer Krankenschwestern Gelegenheit, dem Ideal von Henry Dunant direkt nachzuleben: Sie konnten den Soldaten Hilfe leisten, die auf den Schlachtfeldern verwundet wurden.

Eine sehr weit zurückreichende Verbindung…

Doch die Beziehungen zwischen der Krankenpflegeschule La Source und dem Roten Kreuz gehen viel weiter zurück. Am Anfang stand die Freundschaft zwischen dem Gründer des Roten Kreuzes und der Gründerin der Schule. Denn als Henry Dunant im Juni 1859 in der italienischen Kleinstadt Castiglione Hilfe für die Verwundeten von Solferino organisierte, stand er in Briefkontakt mit Gräfin Valérie de Gasparin (geborene Boissier). Die aus Genf stammende Gräfin gründete im gleichen Jahr die Krankenpflegeschule La Source in Lausanne. Sie war es auch, die dafür sorgte, dass Dunants Spendenaufruf für die Verwundeten von Solferino am 8. Juli 1859 im «Journal de Genève» publiziert wurde. 

Später beteiligten sich die Krankenschwestern von La Source während des Deutsch-Französischen Kriegs von 1870 bis 1871 an den Hilfsmassnahmen für die Soldaten der Bourbaki-Armee: In der Chapelle des Terreaux in Lausanne pflegten sie Kranke und Verwundete. Dieser Einsatz wurde vom Luzerner Maler und Fotografen August Bauernheinz im Februar 1871 verewigt. Doch erst mit der Unterzeichnung einer Vereinbarung zwischen dem SRK und La Source im Jahr 1923 wurde diese zur Ecole romande de gardes-malades de la Croix-Rouge suisse, zur Westschweizer Krankenpflegeschule des SRK.

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