Der Hülfsverein für schweizerische Wehrmänner und deren Familien
Zwischen 1863, dem Gründungsjahr des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), und dem 17. Juli 1866, dem Gründungsdatum des Schweizerischen Roten Kreuzes, schufen 17 Staaten ihre eigene mationale Gesellschaft. Obwohl die Schweiz die Wiege des IKRK ist, schien sie es damals mit der Gründung einer nationalen Rotkreuzgesellschaft nicht besonders eilig zu haben. Wie lässt sich dieses Paradox erklären? Die Tatsache, dass die Schweiz damals nicht gross daran interessiert war, eine Gesellschaft für die Hilfe zu Gunsten von Kriegsverwundeten zu gründen, hing zweifellos mit ihrer dauernden Neutralität zusammen. Denn diese wirkte als eine Art Bollwerk gegen die grossen internationalen Auseinandersetzungen. Eine weitere offenkundige Besonderheit der damaligen Verhältnisse in der Schweiz bestand darin, dass bereits am 17. März 1864 – das heisst gut zwei Jahre vor der Gründung des Schweizerischen Roten Kreuzes – das Rote Kreuz des Kantons Genf ins Leben gerufen wurde.
Jakob Dubs und General Dufour: die Gründerväter
Auf nationaler Ebene ging die Initiative zur Gründung einer Rotkreuzgesellschaft von General Guillaume-Henri Dufour aus, einem der grössten Förderer von Henry Dunants Idee. Als Gründungsmitglied und Ehrenpräsident des Internationalen Roten Kreuzes arbeitete Dufour mit dem Zürcher Bundesrat Jakob Dubs zusammen, um den Aufbau einer nationalen Rotkreuzgesellschaft in die Wege zu leiten. Der Aufruf erfolgte am 1. Juli 1866 zum richtigen Zeitpunkt: Im Osten der Schweiz tobte der Preussisch-Österreichische Krieg und es herrschte grosse Ungewissheit über das künftige politische Gleichgewicht innerhalb Europas. Die Gründung eines Hilfskomitees, das die Sanitätsdienste der Armee unterstützen sollte, stiess deshalb bei den Führungseliten des Landes auf ein positives Echo. Die Zeit war reif für die Gründung einer nationalen Gesellschaft… Die Gründungsversammlung des Schweizerischen Roten Kreuzes trat am 17. Juli 1866 um 16 Uhr in Bern im Ständeratssaal zusammen. Zu dieser Versammlung waren rund 40 Persönlichkeiten (Professoren, Kirchenvertreter, Ärzte und Politiker), mehrheitlich Parlamentarier, aus fast allen Kantonen eingeladen worden.
General Dufour, damals Genfer Ständerat und Militärexperte bei der Schweizer Armee, eröffnete die Versammlung. Die anwesenden Persönlichkeiten berieten in der Folge einen ersten Entwurf der Statuten für die Gesellschaft. Diesen Entwurf hatte der Genfer Jurist Gustave Moynier, damaliger Präsident des IKRK, im Vorfeld der Versammlung ausgearbeitet. Darin war klar festgehalten: Gemäss den Resolutionen, die an der Genfer Konferenz von 1863 verabschiedet worden waren, sollte die Hauptaufgabe des künftigen Schweizerischen Roten Kreuzes darin bestehen, die Sanitätsdienste der Armee in Kriegszeiten zu unterstützen. Angesichts der engen Verflechtung zwischen dem militärischen und dem zivilen Leben beschloss die Versammlung jedoch, den Tätigkeitsbereich auf die Fürsorge für die Familien von einberufenen Wehrmännern auszuweiten. Für die nationale Gesellschaft wurde daher die Bezeichnung Hülfsverein für schweizerische Wehrmänner und deren Familien gewählt. Diese schweizerische Besonderheit wurde in Artikel 1 der Statuten verankert: «Zweck des Vereins ist sowohl Mitwirkung zum Sanitätsdienste des schweizerischen Heeres, mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln, als Fürsorge für die Familien der einberufenen Wehrmänner im Kriegsfalle.»
Schwierige Anfänge
Im Anschluss an die Debatte wurde eine fünfköpfige Exekutivkommission ernannt. Diese setzte sich aus dem Bundesrat Jakob Dubs (Präsident), dem Lausanner Rechtsprofessor Alphonse Rivier (Sekretär), dem Berner Nationalrat Karl Schenk, dem Oberfeldarzt Samuel Lehmann und dem Luzerner Ständerat Renward Meyer zusammen. General Dufour wurde zum Ehrenpräsidenten der Gesellschaft ernannt.
Am 14. August 1866 informierte Jakob Dubs den Gesamtbundesrat über die Gründung der schweizerischen Rotkreuzgesellschaft. Drei Tage danach wurde das Internationale Komitee in Genf davon in Kenntnis gesetzt. Dieses forderte alle Kantone zur Gründung einer lokalen Sektion auf. Doch auf dieser Ebene konnte sich der «Rotkreuz-Gedanke» zur damaligen Zeit nicht richtig durchsetzen. Abhängig von den jeweiligen Bedürfnissen und Umständen wurde er in den einzelnen Kantonen eher zufällig und sehr uneinheitlich umgesetzt.
Der neu gegründete Verein, dem nur wenige finanzielle Mittel zur Verfügung standen und der sich auf ein Komitee von 44 bedeutenden Persönlichkeiten beschränkte, konnte in der schweizerischen Gesellschaft zunächst nicht richtig Fuss fassen. Er verfügte weder über einen ständigen Sitz noch übte er eine konkrete Tätigkeit aus – er bestand sozusagen nur auf dem Papier. In den ersten zwei Jahren nach seiner Gründung entstanden lediglich acht lokale Sektionen: Basel-Stadt, Herisau, Zürich, Teufen und Thurgau im Jahr 1866, Altdorf und Solothurn im darauffolgenden Jahr sowie Winterthur im Jahr 1868. Erst im Zusammenhang mit dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870 bis 1871 und dem ersten Grosseinsatz des Schweizerischen Roten Kreuzes konnte die nationale Rotkreuzgesellschaft die Köpfe und Herzen der Schweizerinnen und Schweizer wirklich erobern und ihren Nutzen unter Beweis stellen.