Nationale Sammelaktion für Kriegswaisen
Am Ende des Ersten Weltkriegs wurde dem SRK grosse Anerkennung für die geleistete Arbeit entgegengebracht: Es hatte sich nicht nur für die mobilisierten Schweizer Soldaten, sondern auch für verwundete Kriegsgefangene und zivile Kriegsopfer eingesetzt und damit grosse Handlungsfreiheit unter Beweis gestellt. Als die Sieger- und Verlierermächte in Versailles den Friedensvertrag unterzeichneten, waren die Ernährungslage und die gesundheitliche Versorgung in den mittel- und osteuropäischen Ländern nach wie vor dramatisch: Hunderttausende ihrem Schicksal überlassene Kriegsgefangene vegetierten in Lagern und Notunterkünften vor sich hin. Gleichzeitig irrten unzählige Flüchtlinge durch Länder, in denen soziales und politisches Chaos herrschte. Vor allem in Österreich, Ungarn und Polen herrschten Epidemien und Hunger. Von den katastrophalen Zuständen waren insbesondere auch die Kinder betroffen. Inmitten dieses Chaos engagierten sich die grossen internationalen Organisationen, darunter das IKRK, um humanitäre Hilfe zu leisten.
Nach Kriegsende übernahm das IKRK, das zu den Mitbegründern der Internationalen Vereinigung für Kinderhilfe gehörte, die Leitung einer breit angelegten, koordinierten Hilfsaktion für Kinder in Not. Im Sommer 1919 eröffnete es in Wien eine Zentralstelle zur Bekämpfung von Epidemien. Das SRK bot seine Unterstützung an. Es beteiligte sich an einem Hilfseinsatz, für den ein Konvoi aus mehreren Dutzend Eisenbahnwaggons mit Lebensmitteln von der Schweiz in die österreichische Hauptstadt sowie nach Ungarn gesandt wurde. Verschiedene humanitäre Organisationen aus der Schweiz, darunter das Internationale Komitee für Kinderhilfe, nahmen ihrerseits gesundheitlich schwer angeschlagene Kinder und Jugendliche vorübergehend in der Schweiz auf. Diese umfangreiche internationale humanitäre Aktion für kriegsversehrte Menschen bildete den Auftakt zur Zusammenarbeit zwischen den Rotkreuzgesellschaften, die von der Liga angestrebt wurde.
Im August 1919 schilderte Marthe Schwander, die in Ungarn als Rotkreuzschwester tätig war, in einem Bericht die furchtbaren Umstände, unter denen die Kinder in diesem Land lebten. Es herrschte eine verheerende Hungersnot. Milch war praktisch nicht verfügbar. Pro Person konnte lediglich alle zwei bis drei Wochen eine Ration von einem Kilo Kartoffeln verteilt werden. Bei Neugeborenen und Kleinkindern war die Sterblichkeit deshalb erschreckend hoch:
«Die ständige Unterernährung der Mütter zeigt sich bei den Kindern schon bei der Geburt. Das Geburtsgewicht der Neugeborenen liegt zwischen 1 kg 60 g und 2 kg 500 g und übersteigt kaum je diesen letzteren Wert. […] Die Statistik des Jahres 1918, die deutlich besser ausfiel als jene der Vorjahre, verzeichnete bei 14'735 Geburten 29'924 Sterbefälle im Kleinkindalter. Dies entspricht einem Sterbeüberschuss von 15'189. In Anbetracht dieser Zahlen muss dieses Jahr mit katastrophalen Ergebnissen gerechnet werden.» («La Croix-Rouge suisse», 1. März 1920, S. 29)
Zusammen mit dem IKRK organisierte das SRK im Februar 1921 eine spezielle Sammelaktion für Kriegswaisen in Mitteleuropa. Im Rahmen dieser Kampagne zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit wurde im Februar 1921 in der Zeitschrift «Das Rote Kreuz» eine Reihe von Bildern veröffentlicht.